Die Kunst der Handweberei
„Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib“ spottete Oskar Schlemmer, Meister am weltberühmten Bauhaus in den 1920er Jahren. Ausgerechnet am Bauhaus, hatte es sich doch diese Hochschule zum Ziel gesetzt Kunst und Handwerk miteinander zu verbinden. Denn gerade das Weben als eine der ältesten Kulturtechniken der Menschheit bringt Kunst und Handwerk schon seit Jahrtausenden zusammen.
Neben der Holz- und Steinbearbeitung gehört das Weben zu den ältesten Handwerken der Menschheit. Seit 32.000 Jahren ist es nachgewiesen und zwar mit Geweberesten aus den Grabkammern des ägyptischen Altertums.
Kreuz und quer
Beim Weben werden zwei Fadensysteme, die Kette (Kettfaden) und der Schuss (Schussfaden), rechtwinklig verkreuzt, um so ein textiles Flächengebilde, also das Gewebe oder den Stoff, herzustellen. Dabei bilden die vorgespannten Kettfäden den Träger, in den nacheinander die Schussfäden von einer Webkante zur anderen durch die gesamte Webbreite eingezogen werden. Neben Stoffen werden auch Teppiche oder seltener Tapeten gewebt.
Wie jedes Handwerk lebt auch das Weben von der Kunstfertigkeit und Erfahrung, die die Weberin oder der Weber über die Jahre sammelt. Weben ist ein Handwerk, das man poetisch als Malen mit Fäden bezeichnen könnte.
Weben am Bauhaus
Die Koexistenz von Kunst und Handwerk als einem der großen Ziele des Bauhauses, wurde besonders in den Webklassen dieser Kunsthochschule praktiziert. Eine ihrer bekanntesten und vielleicht prägendsten Figuren war die Weberin und Textildesignerin Gunta Stölzl.
Gunta Stölzl führte in der von ihr geleiteten Webereiwerkstatt den Bereich des Industriedesigns ein. Es entstanden Möbelspannsstoffe, Meterware für Kissen oder Kleidungsstücke, Wandbehänge und Teppiche. Auch wenn sich Gunta Stölzl am Ende ihres Lebens den gewebten Einzelstücken zuwandte, gilt sie als Erneuerin der Handwebkunst, die daran beteiligt war, die Weberei vom bildhaften Einzelstück zum modernen Industrieentwurf zu führen.
Die Handweberei in Geltow
In der Idee des Bauhauses gründet Henni Jaensch 1939 die Handweberei in Geltow in einem seit Jahren leerstehenden Gasthof mit angeschlossenem Wohnhaus. Es wird ein Ort für Handwerk und Austausch. Der Tanzsaal wurde zur Werkstatt umgebaut, im Vorderhaus wohnten die Lehrlinge und der Garten diente für Schafzucht und Flachsanbau. Der Webhof Geltow wird nicht nur zur Arbeitsstätte, sondern auch immer mehr zu einer Lebensgemeinschaft.
In dieser Zeit entstehen zum Beispiel die Webmuster Sternchen und Raute, ein Muster in dem bis heute in der Handweberei Geltow die Leinenhandtücher gewebt werden. Neben diesen Handtüchern in vielen Farben, Tischdecken in unterschiedlichen Größen, kunstvollen Läufern und farbenfrohen Kissen entstehen auch handgewebte Unikate. Die Weberei, die seit 1987 von Ulla Schünemann geleitet wird, führt den Gedanken ihrer Gründerin Henni Jaensch fort und sorgt mit dem hohen Qualitätsstandard ihrer Handwebwaren für ein Weiterleben dieser Tradition.
Jana Hyner